Wie alles Begann...
Wie war es damals vor mehr als 40 Jahren als alles begann?
Wild. Laut. Schräg. — Es war jene Zeit, in der Guggenmusik noch als etwas Besonderes galt; nicht zu vergleichen mit der heutigen Ära, in der Musikgruppen wie Pilze aus dem Boden schießen, sich unter das Genre Guggenmusik stellen, deren Sound jedoch eher amerikanischen Marchingbands oder gar Brass-Bands ähnelt. Das musikalische Vorbild aus der Schweiz forderte seinerzeit wilde Disharmonien, ungewöhnliche Rhythmen, überzogene Lautstärke und nicht zuletzt fantasievolle Kostüme. "Falsch" und "anders" sind dort die Leitgedanken, die in der Fasnachtszeit musikalisch gegen die "ordentliche", "gewöhnliche" Welt opponieren wollen.
Wen wundert es da, dass die kreativen Köpfe der schwarzen, zottigen Urviecher auf die Idee kamen, eine eigene Guggenmusik zu gründen. War man doch ohnehin per se Opposition gegen die etablierte "weiße" Narrenzunft und zunächst auch immer anders. So wurde an mich der der Auftrag schnell und unkonventionell erteilt. Er duldete formulierungstechnisch weder Zögern oder gar Absagen:
"Mir wenn ä Guggemusig mache und Dich bruche mer als Chef. Ä paar simer scho, und wenns noch dene goht, kenne mer näscht Woch afange probe."
Gesagt getan. Angereichert mit einer Hand voll junger Musikanten aus dem Blasorchester Bad Dürrheim, einem wahrlich idealen Nachwuchs-Pool, aus dem in den Folgejahren noch viele Talente geschöpft werden konnten, versuchten wir im Keller unter dem katholischen Kindergarten die ersten Töne und Geräusche zu einem "Etwas" zu formen, das zumindest halbwegs erkennen ließ, wie das Stück heißen könnte.
Das musikalische Grundkonzept war dabei simpel: Der größte Teil der Gruppe hatte keine Ahnung von Musik, spielte daher ohnehin schon falsch (wir erinnern uns: das schweizer Vorbild forderte u.a. "falsch"; wenn auch dort bewusst erzeugt und nicht wie bei uns dem Zufall überlassen). Und die wenigen, welche ihr Instrument beherrschten, sorgten für die melodische Grundlinie, die somit der musikalischen Identifiaktion diente – so die Theorie.
Die Praxis war jedoch weit schwieriger als ich mir das damals träumen ließ. Allein der Unterschied zwischen Zweiviertel- und Dreivierteltakt stellte die rhythmische Fraktion vor schier unüberwindbare Hürden. Überhaupt einen Ton aus einer Trompete, einem Horn oder gar einer Posaune zu pressen bedeutete für die unbedarften Bläser einen Energieaufwand, der einem Herkulesakt glich. Der Weg zum stillen Örtchen nach 5 Tagen Verstopfung konnte nicht anstrengender sein.
Dennoch gelang, was viele Skeptiker nicht für möglich hielten. An der Fasnet hatten wir ein "stattliches Repertoire" von 4 Musikstücken und einen eigens entworfenen Marschrhythmus ('daba-dum, daba-daba-daba, dum-dum-dum' war handschriftlich auf so mancher Marschtrommel in Form eines Spickzettels, oder sollte ich besser sagen "Notenblattes" vermerkt. Eine andere Form der Notenschrift. Warum nicht, wenns hilft...!)
Unvergesslich der erste Auftritt beim Turnerball. Der damalige Urviechervorstand verbat uns noch im Foyer des Kurhauses mit dieser Chaostruppe einzumarschieren und zu spielen. Er befürchtete wohl ein musikalisches Desaster und somit den Imageverlust der noch jungen Urviecherzunft.
Doch hinderten uns selbst seine Rücktrittsdrohungen nicht, mit ohrenbetäubendem Krach, eingehüllt in alten Vorhängen und mit bunten Lampenschirmen aus den Köpfen den Kurhaussaal zu stürmen. Es war nicht weiters schlimm, dass nach dem Einmarsch meine Ansage "Dreivierteltakt" mit einem lupenreinen Zweier-Takt quittiert wurde; statt dem Schneewalzer spielten wir kurzerhand eben Rucki-Zucki. Auch ist es kaum der Rede wert, dass ich als Häuptling dieser Formation die noch "Unentschlossenen" (jene, welche sich noch musikalisch orientierten und im Kreise stehend debattierten) mit einem gewaltigen Tritt in den A..llerwertesten zum Mitspielen animieren musste. Mein Glück war es, dass ich bereits so viel Respekt genoss, dass eben jene "Unentschlossenen" nicht zum Gegenschlag ansetzten und sich stattdessen in den musikalischen Reigen integrierten.
Unvergesslich auch die vielen Anekdoten und Anekdötchen, die hier nicht alle aufgeführt werden können. Wer kann sich schon vorstellen, dass bei einem Hausball in der Allemannenstube" vor immerhin vier zahlenden Gästen ein Festival der Freude mit ekstatischem Höhepunkt entstand, als wir auf dem Rücken liegend "alle meine Entchen" spielten?
Wie könnte ein Auftritt in der "Waldruhe" noch gesteigert werden, wenn die Wirtsleute bereits im siebten Guggenmusikhimmel schwebend, uns die Kneipe zur "Selbstverpflegung" überließen - eine verheerende Tat wie sich herausstellen sollte.
So war immer reichlich Spaß angesagt; Spaß am Musizieren, gesellig-ausgelassenen Miteinander und natürlich auch am teilweise reichlichen Genuss überwiegend flüssiger Nahrung. Dieser Spaß übertrug sich rasch auf die Bevölkerung und riss diese bei den viele Auftritten in den Kneipen, Besenwirtschaften, auf der Straße und Bühnen mit.
Selbst eingefleischte "Narrenzünftler" zählten bald zu unseren Fans, wenn auch manche Ihre Begeisterung anfangs eher dezent äußerten; wohl aus Furcht vor "Repressalien" aus dem eigenen "weißen" Lager. Schließlich waren wir ja welche "vu selle schwarze Sieche".
Wie heißt es so schön: Musik verbindet. So darf man heute mit Fug und Recht behaupten, dass die Guggenmusik Botschafter erster versöhnlicher Töne war, was den Weg zur heute partnerschaftlichen Verbundenheit beider Zünfte erleichterte.
In den folgenden Jahren entwickelten wir uns mit der Urviecher Guggenmusik zur festen Institution an der "Dieremer Fasnet", die heute nicht mehr aus dem Geschehen zu denken wäre.
Schee wars. Wild. Laut. Schräg.
Gazella
(Aus unserer 'Guggä-Chronik' zum 30. jährigen Bestehen)